SIMULACRUM

Zwischen den Falten von Stoff und Schatten, in den Nähten, die sich wie Brüche durch das Material ziehen, flackert ein Echo – ein Bild, das sich nicht festschreiben lässt. Narrative Erzählfragmente und abstrakte Zonen durchdringen einander, lösen sich ab, überschreiben sich. In Simulacrum gerät das Urbane in einen Zustand der Verformung: Asphaltstrukturen sickern in die Stoffschichten ein, Fußgängerübergänge zerfließen in einem Spiel aus Verdichtung und Auflösung, Straßenpöller erscheinen wie gestrandete Relikte, die sich ihrer eigenen Körperlichkeit nicht mehr sicher sind.

Die Künstler reflektieren die Konstruktion von Wirklichkeit als einen fließenden, fragilen Prozess, in dem Bilder, Zeichen und soziale Dynamiken keine festen Konturen mehr besitzen. Die Werke sind durchzogen von den Mechanismen der Stadt – dem Rhythmus der Wege, der Ordnung des Verkehrs, den Spuren von Menschen und Maschinen, die tagtäglich durch diese Landschaften ziehen. Doch hier, im Stoff dieser Arbeiten, sind diese Strukturen nicht mehr starr, sondern verformbar, verletzlich. Die harten Symbole der urbanen Ordnung werden in weiches Leder, in vernähte Gewebe übersetzt – als würden sie aus einer fremden, organischen Substanz bestehen, als hätte sich die Stadt in Fleisch verwandelt.

Orx und Vinn waren Maler, bevor sie begannen, mit Stoff, Leder, Fäden und Kunststoff zu arbeiten. Doch die malerischen Prinzipien sind nicht verschwunden – sie haben sich transformiert. Hier geschieht Malerei ohne Farbe, aber mit Berührung. Die groben Pinselstriche der Vergangenheit sind nun Lichtreflexe auf unregelmäßigen Oberflächen, Schichten aus Material, die sich überlagern wie lasierende Farbfelder. Die expressive Geste manifestiert sich in Faltungen, in verdichteten Bereichen, in Kontrasten zwischen Härte und Weichheit. Die Grenze zwischen Bild und Objekt ist nicht mehr klar zu ziehen – wie die urbane Realität, die sie untersuchen, sind auch die Werke von Simulacrum instabile Gebilde, an denen Wahrnehmung und Bedeutung unaufhörlich arbeiten.

Die Frage nach der Hyperrealität durchzieht Simulacrum wie eine unterschwellige Spannung. Was ist real, wenn alles nur Oberfläche ist? Wir leben in einer Welt, in der Bilder das Reale überlagern, in der Narrative inszeniert werden, um Wahrheiten zu erschaffen, in der Medien Strukturen formen, die tiefer reichen als das, was greifbar ist. Orx und Vinn übersetzen diese Dynamik in ein Spiel mit Materialität. Die Werke treiben die Transgression hybrider Realitäten voran – sie sind keine statischen Abbilder, sondern fluide Strukturen, in denen das Urbane und das Organische, das Reale und das Simulierte ineinanderfließen.

Ihre Werke sind fleischgewordene Simulationen – Körper ohne festen Kern, Zeichen, die sich jeder endgültigen Lesart entziehen. Sie nehmen die harten Elemente der Stadt und lassen sie atmen, machen sie verletzlich. Doch sie entziehen sich auch dem rein Figurativen, verweigern sich der unmittelbaren Lesbarkeit, lösen sich in Zonen reiner Materialität auf. Es ist, als wäre das Urbane selbst in Bewegung geraten, als wäre seine Ordnung ins Schwimmen gekommen, seine Symbole neu zusammengenäht aus Fragmenten einer Welt, die längst keinen festen Boden mehr kennt.

Der Betrachter steht nicht vor diesen Arbeiten – er tritt in sie ein. Licht bricht sich in den Texturen, schafft wechselnde Intensitäten, flüchtige Bilder, die nur einen Moment bestehen, bevor sie sich ins Unscharfe verschieben. Die Werke sind nicht einfach Kompositionen – sie sind Schwellenräume, in denen sich Wahrnehmung immer wieder neu orientieren muss.

Simulacrum ist ein Körper aus Oberfläche, aus Nähten und Narben, aus Strukturen, die sich der Starrheit verweigern. Ein Archiv der Welt in Transformation, eine Membran, durch die die Dynamiken der Zeit hindurchströmen. Hier gibt es kein Zentrum, keine endgültige Wahrheit – nur ein unaufhörliches Flimmern zwischen dem, was wir sehen, und dem, was wir zu sehen glauben.

DOG PLAY
Iven Orx & Aaron Vinn
2024
Stoff, Kunststoff, Leder
242 x 290 x 2 cm
REGULATOR
Iven Orx & Aaron Vinn
2024
Stoff, Schaumstoff
135 x 30 x 30 cm